Es muss ja nicht immer ein Roman sein! Deswegen greife ich gern auch zwischendurch mal zu Sachbüchern oder Memoiren. (Hier, hier und hier gibt es weitere Empfehlungen aus dem Genre von mir). In den letzten Wochen habe ich von dem Genre ein paar mehr Bücher gelesen. Drei der Sachbücher möchte ich euch hier auf dem Blog vorstellen. Sie sind alle sehr unterschiedlich und teilweise auch nicht fehlerfrei (aber wer ist das schon). Empfehlenswert sind sie allemal.
„Nähe“ von Giovanni Frazzetto
Auf 180 schmalen Seiten vereint Giovanni Frazzetto acht unterschiedliche Situationen und Geschichten mit wissenschaftlichen Erkenntnissen rund um Nähe. Hierbei wird nicht nur die Nähe zwischen Paaren thematisiert, auch die Beziehung zu den Eltern oder die nicht vorhandene Nähe, die Einsamkeit, werden angesprochen. Die wissenschaftlichen Inhalte werden locker vermittelt und in beispielhaften Geschichten eingewoben. Es ist keine schwere Lektüre, aber die Aha-Moment bleiben nicht aus.
Dennoch muss ich auch ein wenig Kritik üben. Was mich teilweise doch gestört hat, waren die fiktiven Geschichten selbst. Wissenschaftlich schreiben kann Herr Frazzetto definitiv, die Erzählungen waren mir oftmals doch zu gewollt und durchaus auch in der Ausführlichkeit übertrieben. Meist hätte schon die Schilderung der Situation zur Veranschaulichung des wissenschaftlichen Aspekts gereicht statt so sehr in die Tiefe zu gehen, wie er das hier und da gemacht hat.
Der (in meinen laienhaften Augen) wirklich gute wissenschaftliche Teil überwiegt für mich allerdings und kann die schwächeren Geschichten, die darum herum geschrieben wurden, ausgleichen. Das Thema ist einfach superinteressant und gut aufbereitet, weshalb ich „Nähe“ insgesamt wirklich gern gelesen habe.
„Stille“ von Erling Kagge
Stille im weitesten Sinne ist ein Thema, mit dem ich mich schon seit einiger Zeit auseinandersetze. Erling Kagges Wegweiser für die Stille kam da gerade recht. In 33 Kapiteln sinniert er über Stille, die nicht nur die Abwesenheit von Lärm ist, legt seine Gedanken dar und gibt praktische Beispiele und Hinweise. Die Leitfragen sind für ihn “Was ist Stille? Wo ist sie? Warum ist sie heute wichtiger denn je?” Dabei sind seine Texte nicht nur schlichte Abhandlungen oder sachliche Darstellungen, sondern sie sind gespickt mit persönlichen Anekdoten und Erlebnissen – sei es auf seinen Entdeckungstouren in der Antarktis oder anderswo oder im Kreis der Familie in seinen heimischen Gefilden in Norwegen.
Viele der Gedanken in den 33 Kapiteln sind dabei eigentlich nichts neues. Vieles weiß man schon unterbewusst, ist nicht erstaunt, denkt oft “Oh ja, wie recht er hat”. Doch genau darum geht es bei “Stille”: Dinge bewusst wahrnehmen, Stille für Kopf und Herz finden, Abschalten, Ruhe genießen, für sich sein. Das Lesen von Kagges “Stille” hat in zweierlei Hinsicht dabei geholfen: Zum einen inhaltlich, zum anderen aber auch durch den Prozess des Lesens selbst, bei dem man sich schon viel stiller gefühlt hat. Verrückt eigentlich!
Jedem, der selbst auf der Suche nach ein wenig Stille ist, der einen Ratgeber ohne erhobenen Zeigefinger lesen möchte, der ein wenig eintauchen möchte in Wissenschaft und Philosophie, aber auch in persönliche Momente der Stille, dem möchte ich dieses Buch wirklich sehr ans Herz legen.
„Das Fürchten verlernen“ von Miriam Stein
Miriam Steins Memoir lag schon viel zu lange ungelesen bei mir herum. Ich weiß gar nicht, warum ich es genau jetzt in die Hand genommen habe, es war auf jeden Fall eine gute Entscheidung.
Stein fängt in ihrer Kindheit an, erzählt von ihrer Adoption, dem Familienleben und den Angststörungen ihrer Mutter, die sie damals nicht begreifen konnte. Sie schildert, wie sie damit aufwuchs, dass ihre Mutter unfähig war, das Bett zu verlassen. Sie erzählt von den Versuchen, ihr zu helfen, die sich aber in den 80er und 90er Jahren mangels Forschung in dem Bereich nicht als zielführend herausstellten. Nach ihrem Auszug von zuhause macht sie ihren eigenen Weg, sie versucht es zumindest, im Hinterkopf die Angst. Jobs, Studium, die eigene kleine Familie, Umzüge und Sorgen – Miriam Stein beschreibt sehr persönlich wie sie mit der Angst ihrer Mutter und ihren eigenen Ängsten lebt, wie sie die Herausforderungen im Leben meistert und wie sie sich schließlich auch aus medizinischer Sicht mit dem Thema beschäftigte.
Dieses Buch ist sehr eindringlich geschrieben, sehr persönlich, ist gleichzeitig sehr gut recherchiert und informiert. Ich mochte es sehr, bin durch die Seiten geflogen. Nicht, weil die Geschichte so angenehm und erfreulich ist, sondern weil sie ungeschönt ist, weil sie bewegt und mitreißt. Ehrlich.