In meinen Instagram-Stories habe ich bereits meine Gedanken (und meine Begeisterung!) zu „Barbarentage“ von William Finnegan rausgelassen. Das Buch steckt aber irgendwie immer noch in meinem Kopf, weswegen ich jetzt alles noch einmal zu Papier bringe. Oder besser gesagt: auf den Blog.
Worum geht es überhaupt in „Barbarentage?“
In „Barbarentage“ geht es um William Finnegan und sein Leben als Surfer. Er startet mit seiner Erzählung in den 60er Jahren auf Hawaii, wo seine Surfleidenschaft als Kind und Teenager ekstatische Züge angenommen hat. In den folgenden Jahren lebt Finnegan als Surfer, Reisender, Lebenskünstler. Er sucht die perfekte Welle an großen und kleinen Surfspots und lebt in den Tag hinein – immer mit dem Meer in unmittelbarer Nähe. Das Surfen ist sein Lebensmittelpunkt, sein Antrieb und seine Leidenschaft. Bis sich der Fokus irgendwann verschiebt. Er schreibt immer mehr für Magazine und Zeitschriften und wird schlussendlich sesshaft. Das Surfen rückt immer mehr in den Hintergrund. Auch wenn die alte Leidenschaft immer wieder aufflammt und er natürlich trotzdem regelmäßig, wenn auch nicht ausnahmslos, auf dem Brett steht.
Surfen, die 70er und der Traum vom frei sein
Was mich an dem Buch so gefangen genommen hat, war definitiv die Atmosphäre. Finnegan lebt auf seinen Reisen im Hier und Jetzt, denkt nicht an morgen und kümmert sich erstmal darum, was er heute isst. (Im Zweifel auch mal nichts – Hauptsache er kann surfen.) Man erfährt, wie das Reisen war, bevor es Smartphones, Flugsuchmaschinen und Massentourismus gab. Finnegan nimmt uns mit nach Bali, Australien, Fidschi, nach Südafrika und viele andere Orte, noch bevor sie bei Touristen so beliebt wurden. Er erzählt von absolutem Hochgefühl genauso wie von Momenten des Scheiterns. Ich bin mit ihm und seinen Freunden quasi unterwegs gewesen und wollte gar nicht auftauchen aus diesem (Lese-) Traum. Ich wollte immer weiter ziehen und natürlich auch direkt selbst wieder aufs Surfbrett steigen. Sofort. Egal wo.
Kann man „Barbarentage“ auch als Nicht-Surfer lesen?
Tatsächlich fällt es mir recht schwer, zu beurteilen, ob „Barbarentage“ die gleiche Sogwirkung ausgelöst hätte, wenn ich nicht letztes Jahr für mehrere Wochen surfen gewesen wäre. Finnegan beschreibt die einzelnen Wellen und Surfspots schon sehr genau und er verwendet viele Fachbegriffe. Dennoch: Zum einen gibt es in der deutschen Ausgabe hinten ein Glossar, das die Übersetzerin Tanja Handels mit einem fachlichen Berater angelegt hat. (Meinen größten Respekt an dieser Stelle für die Übersetzung und den Mut, ein Buch, das so sehr in der englischen Sprache angesiedelt ist, überhaupt zu übersetzen.) Außerdem lebt das Buch auch sehr von den Reisebeschreibungen, von den Orten, von dem Flair und dem Gefühl der Freiheit. Ich behaupte: All das spürt man auch, wenn man nicht selbst surft – und wer weiß, vielleicht findet der eine oder andere durch „Barbarentage“ die Inspiration für ein neues Hobby?
Ist Barbarentage ein cooler Surferroman oder doch mehr?
In der Facebookgruppe Seitenweise Suhrkamp berichtet der Lektor Simon Lörsch von einer wichtigen verlagsinternen Entscheidung. Soll „Barbarentage“ als cooles Surferbuch präsentiert werden oder eher „als Abenteuerroman, Coming-of-Age-Geschichte, amerikanische Kulturgeschichte, intellektuelle Biografie“? Letztendlich entschied man sich für die literarische Positionierung, ließ den Untertitel „A surfing life“ weg und wählte ein anderes Coverbild im Vergleich zur amerikanischen Ausgabe.
Ich kann mich nicht ganz entscheiden, was es tatsächlich ist. Gäbe es die letzten 100 Seiten nicht, in denen das Surfen in Finnegans Leben doch eher in den Hintergrund rückt, würde ich sagen, dass es ein großartiges Buch über einen Vagabunden in den 70er und 80er Jahren ist, den das Surffieber gepackt hat. Die Atmosphäre ist stimmig, man spürt durchgehend die Surfervibes. Der letzte Teil ist für mich hingegen dann reine Biografie. Hier kommt nicht mehr die gleiche Stimmung auf, er erzählt recht nüchtern und man merkt, dass die Leidenschaft fürs Surfen fehlt, die das Buch über die vorherigen Seiten getragen hat.
„Barbarentage“ wäre für mich sogar noch besser gewesen, wenn es geendet hätte, als sich sein Lebensmittelpunkt vom Surfen weg verschoben hat. Dann wäre es womöglich mehr Surferroman gewesen, aber ich glaube, das hätte ich auch sehr gemocht. Im Endeffekt ist es von allem oben genannten ein bisschen etwas. Mit der literarischen Platzierung – die das Buch auch definitiv verdient hat – erreicht „Barbarentage“ allerdings bestimmt mehr Menschen.
Ein Buch, das im Regal bleibt – und irgendwie auch im Herzen
„Barbarentage“ wird definitiv einen besonderen Platz in meinem Bücherregal bekommen. Trotz der in meinen Augen etwas schwächeren letzten Kapitel hat es mich voll eingesogen und erst wieder ausgespuckt als jede Welle zu Ende gesurft war. Und Meerweh und Fernweh und ein Hauch Wehmut waren bei mir bei diesem Leseerlebnis eh vorprogrammiert.