Buchtipp: „Still“ von Thomas Raab

Eines der sehr wenigen Bücher, die ich in den ersten drei März-Wochen beendet habe, war „Still“ von Thomas Raab. Der Autor, dessen bisherige Werke, die Metzger-Krimis, nicht wirklich meinem Beuteschema entsprechen, hat mich mit seinem neuen Buch fasziniert, beeindruckt und zum Nachdenken gebracht.

„Still“ wird wohl als Kriminalroman wahrgenommen, doch eigentlich entspricht das Buch nicht wirklich diesem Genre, sondern ist eher das, was es auch auf dem Cover angibt zu sein: die Chronik eines Mörders. Der Leser begleitet den späteren Mörder Karl vom Tag seiner Geburt bis zum Tag seines Todes, schaut in sein Inneres und liest in seinen Gedanken. Vor allem diese Sichtweise ist es, die „Still“ zu einem beklemmenden, fordernden und zugleich so großartigen Leseerlebnis macht.

Karl wächst aufgrund seines übersensiblen Gehörs isoliert von der Außenwelt und allen darin vorherrschenden Geräuschen in der Kellersauna seiner Eltern auf. Kontakt zu anderen Menschen hat er kaum, selbst das Verhältnis zu seinen Eltern ist schwierig und vor allem seine Mutter leidet unter der Krankheit von Karl – und somit unter ihm. Er ist kein Teil der Welt um ihn herum, er schafft sich seine eigene Realität, versucht sich einen Reim darauf zu machen, was um ihn herum geschieht und schlussfolgert aus den Gesprächen derjenigen, die um ihn herum leben, aber nicht mit ihm.

Naiv und vermeintlich unschuldig begeht er schließlich bereits im Kindesalter seinen ersten Mord – und versteht nicht, dass er etwas Schlechtes getan haben soll. Seine Gedankengänge, Rückschlüsse und Handlungen passen nicht zu den den moralischen und sozialen Gesetzen der Gesellschaft – er ist damit ja nicht aufgewachsen, hat nicht gelernt in einer Gesellschaft zu leben und sich anzupassen.

Diese Grundsituation macht sich Thomas Raab zunutze und wirft mit „Still“ anhand von Karls Leben – obwohl fiktiv –  Fragen auf wie „Wird man als Mörder geboren oder zum Mörder gemacht?“ und beleuchtet beispielsweise auch das Thema Sterbehilfe und der Tod als Wohltat aus der vermeintlich verqueren und doch nachvollziehbaren Sicht von Karl. Die Antworten auf diese Fragen muss man sich als Leser jedoch letztendlich selbst geben.

Doch nicht nur der Inhalt hat es in sich: Thomas Raab hat mit diesem ersten Werk abseits seiner wohl eher humorvollen Kriminalromane ein Buch geschrieben, das ich als literarisches Buch bezeichnen möchte. Nicht nur die Story hat Tiefgang, auch die Sprache geht unter die Haut und hat mich Seite um Seite an das Buch gefesselt. Strukturiert, scheinbar objektiv dokumentierend und doch so nah bei Karl, dem Mörder.

Es steckt viel mehr in diesem Buch, als man auf den ersten Blick vermutet, und man kann es wohl als vieles ansehen und lesen: Kriminalroman, Psychogramm, Liebesgeschichte, moralische Abhandlung, Lebensgeschichte, Plädoyer an die Gesellschaft, Chronik eines Mörders. Es ist wohl von allem etwas und gerade deswegen vor allem eines: absolut lesenswert!