„Die Rettung des Horizonts“ von Reif Larsen

Es ist schwer, in ein paar Sätzen zusammenzufassen, worum es im zweiten Roman von Reif Larsen „Die Rettung des Horizonts“ eigentlich geht. Ebenso schwer zu beschreiben ist es, was den Roman so einzigartig macht. Ich versuche es trotzdem, denn dieses Buch ist bei mir hängengeblieben und die Gedanken und Worte dazu müssen einfach raus. Besser gesagt mussten, denn diese Rezension schlummert schon einige Wochen auf dem Laptop. Jetzt aber.

Über 750 Seiten erspinnt sich eine Geschichte über mehrere Jahrzehnte, drei Kontinente und eine Vielzahl an Personen. Im Zentrum: Radar Radmanovich und sein außergewöhnliches Schicksal. 1975 wird Radar als Sohn eines eingewanderten Serbens und einer Amerikanerin in New Jersey geboren – als schwarzes Kind seiner weißen Eltern. Eine Sensation! Durch die Besessenheit seiner Mutter, Radar „normal“ werden zu lassen, kommt die Familie mit einer Gruppe Wissenschaftler in Norwegen in Kontakt, die Radar mittels einer elektronischen Behandlung „heilen“ können. Doch hinter dieser Gruppe steckt eigentlich eine seltsame Truppe an Puppenspielern, genannt Kirkenesferda, besessen von elektronischen Marionetten und dem Erschaffen der ganz großen Spektakel und Aktionen – sie sind irgendwo eben doch noch Physiker. Mit jeder Seite nimmt die Skurrilität des Buches zu, der Zauber der Geschichte aber ebenso. Die seltsame Puppenspieler-Truppe ist dabei das Element, das die Geschichte in allen farbenfrohen, weltumfassenden und durchaus absurden Sequenzen zusammenhält.

Reif Larsens Kunst ist es dabei, diese aberwitzig anmutenden Handlungsstränge, Figuren und Szenen so miteinander zu kombinieren und inmitten des Weltgeschehens einzubetten, dass doch tatsächlich ein großes, rundes Gefüge dabei herauskommt – und trotzdem genau die richtige Mischung zwischen Wahnsinn und Magie eingehalten wird. Es ist erstaunlich, wie man eine solche Geschichte liest und in diese absurde Welt zwischen Wissenschaft und Wahnsinn hineingezogen wird – und wie man sich eine solche Geschichte ausdenken kann sowieso.

Wie schon in „Die Landkarte meiner Träume“ wird die Geschichte angereichert durch Skizzen, Fotos und Skalen jedweder Art – wissenschaftlich anmutendes Material, das diesen Aspekt der Geschichte untermauern soll. Die Fußnoten und Zitate aus fiktiven wissenschaftlichen Werken – allen voran der Chronik der Kirkenesferda „Spesielöe Partikler“ von Per Røed-Larsen – tun ihr übriges, um die vermeintliche Authentizität des Buchs zu stützen. Und ich muss zugeben: Es funktioniert. Kleine Schmankerl für exzessive Leser und Buchliebhaber sind auch eingebaut – nur einer der literarischen Bezüge und Anspielungen ist die Ziege, die Bertolt Brecht getauft wird.

Doch genug der Lobhudelei – auch die Kritik muss angebracht werden. Kurz und knackig kann man sagen: Das Buch hätte bestimmt 150 Seiten kürzer ausfallen können. Denn nicht alle der 5 Teile des Buchs drehen sich um Radar, es werden die Hintergrundgeschichten anderer Personen erzählt, die dadurch in die Handlung eingeführt werden. Reif Larsen wählt hier – wohl durch den wissenschaftlich angehauchten Stil des Romans begründet – eine eher ausführliche Version. Eine sehr ausführliche Version. Es reicht nicht, mit der Geburt der entsprechenden Person anzufangen, es werden vorher noch die Leben der Eltern und Großeltern beleuchtet. Das ist solange spannend, bis man dann anfängt, die eigentliche Handlung zu vermissen. Das ist bei mir erst recht spät geschehen, da sich aber quasi kein Hinweis darauf einschleicht, welche Rolle diese Figuren im Verlauf von Radars Geschichte spielen wird, ist es wohl verständlich, wenn man hier schon etwas früher abschaltet. Schade, denn diese Teile könnten fast schon als eigene Geschichten für sich stehen, sind an dieser Stelle aber einfach zu viel. Die Figuren sind dadurch sehr authentisch, was natürlich durchaus positiv ist, ich würde ein bisschen weniger Detailreichtum hier jedoch bevorzugen. Auf den letzten 50 Seiten habe ich dann ehrlich gesagt auch ein wenig den Faden verloren, bevor ich von einem doch recht abrupten Ende überrascht wurde.

Mein Fazit: Reif Larsens zweiten Roman sollte man mit Muse lesen, mit Ruhe und mit Zeit, nicht zwischendurch in der Bahn oder schnell ein paar Seiten auf dem Sprung. Man muss sich auf die Geschichte einlassen und gelegentlich auch die eine oder andere Länge in Kauf nehmen. Doch dann bekommt man ein Leseerlebnis, das zwischen Magie und Wahnsinn anzusiedeln ist, in starke Sprache verpackt, mit einer guten Prise Humor und authentischen Charakteren.